Ich werde oft gefragt, wo die Kinder denn herkommen, die Kaaya im Kinderzentrum aufnimmt und ob sie denn alle Waisen sind. Es ist schwierig wiederzugeben, was ich sehe, wenn ich die Orte besuche, wo unsere Kinder ihre Zeit verbracht haben, bevor sie zu Peace Matunda kamen. Es sind Umstände, die sich hier in Deutschland niemand vorstellen kann, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Und ich frage mich ein manches Mal, wie ein Kind es dort geschafft hat.
Die meisten Kinder sind Halbwaisen, oder ein Elternteil -meist der Vater- hat die Familie verlassen und jeglichen Kontakt und Unterstützung eingestellt. Das alles bekommt hier ein Bild, im Vorgarten einer Mutter habe ich das Grab des Vaters gezeigt bekommen.
Wenn der Versorger der Familie fehlt, fällt es den Müttern schwer ihre Kinder zu ernähren, geschweige denn zur Schule zu schicken. Oftmals geben sie ihre Kinder bei den Großeltern ab, um sich um den Lebensunterhalt zu kümmern, häufig weit weg von der Familie. Die Großeltern leben meist auch in großer Armut und Bildung wurde ihnen nicht zu Teil. Sie sind kaum aufgeklärt und messen dem Thema Schulbildung oft keine große Bedeutung bei, ein kindliches Umfeld zu schaffen ist ihnen fremd, andere Dinge haben Priorität.
Andere Kinder kommen aus sehr zerrütteten Familien, die Eltern sind oft drogen- oder alkoholabhängig, an Aids erkrankt, arbeitslos und ohne jegliche Perspektive. Auch diese Kinder finden im Peace Matunda Kinderzentrum ein Zuhause.
Die meisten Kinder werden vom lokalen Jugendamt vermittelt, die Wartelisten sind voll, denn unsere Kapazitäten sind begrenzt. Kaayas Grundsatz ist es aus jeder Familie nur das jüngste Kind aufzunehmen, um so möglichst viele Familien aus der Spirale der Armut zu befreien. Denn ein gebildetes Kind kann später mit seinem Verdienst die ganze Familie ernähren und eine ganze Gemeischaft positiv verändern. Bei meinem letzten Besuch hat er mir in der Meru-Region gezeigt, dass es auch dort schon kleine Veränderungen gibt. Zwischen den Lehmhäusern und Bretterverschlägen sieht man hier und dort schon kleine einladende Häuser stehen. Sie wurden von der neuen gebildeten Generation errichtet, die in ihre Dörfer zurückkehren und für sich und ihre Familien bessere Bedingungen schaffen.
Rahabu und Yusufu
Bei meinem Besuch im Januar diesen Jahres bin ich mit Kaaya gemeinsam in die abgelegenen Merelani-Hügel gefahren, wo der Edelstein Tansanit abgebaut wird. Hier setzen Erwachsene und auch Kinder ihr Leben aufs Spiel in der Hoffnung auf den großen Fund. Neben der Kinderarbeit und den gefährlichen Arbeitsbedingungen ist auch Prostitution ein Problem, welches sich rund um die Minen bildet. Viele Frauen wollen in der Gegend Arbeit finden, nehmen eine lange und kostspielige Anreise auf sich – doch nur für wenige gibt es wirklich Jobs. Um etwas zu verdienen und weil sie keine Alternative sehen, fangen viele an, ihren Körper zu verkaufen.
Genau hier und aus diesen Gründen holen wir die 3-jährige Rahabu und den 5-jährigen Yusufu ab. Das Jugendamt hatte Kaaya um die Aufnahme der Kinder gebeten, da in der Region keine Institution freie Plätze hat. Rahabu lebt bei ihren Großeltern, den Vater kennt niemand und den Aufenthaltsort der Mutter auch nicht. Wir bringen Reis, Öl und Zucker mit, worüber sie sich natürlich sehr freuen. Die kleine Rahabu lutscht an einer Batterie, die ich ihr sofort aus dem Mund nehme und der Großmutter erkläre, dass das nicht gut ist. Sie nimmt sie und wirft sie 2 Meter weiter weg, ich hoffe, dass die anderen Kinder nicht auf die selbe Idee kommen. Yusufu lebt mit 2 Geschwistern bei seiner Mutter, der Vater ist unbekannt. Die Mutter würde uns am liebsten alle Kinder mitgeben, denn sie schafft es kaum sie zu versorgen, sie erwartet das 4. Kind ohne Partner. Die beiden Kinder werden in unser Auto gesetzt, ohne Verabschiedung und nur mit den Kleidern, die sie am Leib tragen. Keine Umarmung, kein Kuss, keine Tränen, außer bei mir.
Da sitzen die beiden kleinen schutz- und liebebedüftigen Kinder nun auf dem Rücksitz unseres Pick-ups. Kaaya erzählt ihnen von Peace Matunda und den Kindern, die sich schon so auf sie freuen, während ich sie mit Keksen versorge. Eine Weisse haben sie noch nie gesehen, genau so wenig wie eine asphaltierte Strasse, auf die wir nach einiger Zeit abbiegen und das Grün des Regenwaldes, welches den Weg zum Kinderzentrum säumt.
Das Abholen der Beiden hat mich tief berührt und beeindruckt. Wieder einmal sitze ich voller Respekt und Ehrfurcht neben einem Mann, der notleidenden Kindern sein Leben widmet. Auch Kaaya ist in solchen Momenten ergriffen, auch wenn er es sich nur selten anmerken lässt.
Vor allem Rahabu braucht ein paar Tage um sich einzuleben, die ersten beiden Tage stimmt sie mich tieftraurig, weil sie weint und Heimweh hat. Aber schon am 3. Tag spielt und tanzt sie vergnügt mit den anderen Kindern. Die älteren Mädchen kümmern sich ganz liebevoll um sie und auch die großen Jungs tragen sie durch die Gegend und muntern sie auf. Und wieder bin ich sprachlos und überwältigt zu sehen, wie die Kinder ihre Familien ersetzen, sich umeinander kümmern und jedes Kind ganz selbstverständlich in ihre Gemeinschaft aufnehmen.